Bottwartalbahn Bottwartalbahn

Die Bottwarbahn und die große Politik  

1920 gingen die vormaligen „Länderbahnen“, darunter auch die ehemals Königlich Württembergischen Staatseisenbahnen (KWStE) und somit auch die Bottwarbahn, an die neugegründete Deutsche Reichsbahn (DRB) über. Neben dem Zwang zur Vereinheitlichung und Rationalisierung steckte ein Schachzug des Militärs dahinter, das die Eisenbahnen endlich gemeinsam in einer Hand zusammengefasst sehen wollte, unter Hinweis auf die Erfahrungen im zurückliegenden Krieg. Somit war nun grundsätzlich „Berlin“ für die Belange der (staatlichen) Eisenbahn zuständig. Was das für die regionalen und lokalen Bahnen weit weg vom Reichsbahnzentralamt bedeutete, kann man sich vorstellen: Die „Verreichlichung“ der kleinen Bahnstrecken war einer der größten Fehler der deutschen Verkehrsgeschichte.

Immerhin nahm das Verkehrsaufkommen auf der Bottwarbahn offenbar sprunghaft zu, zumindest für sparsame Fahrgäste, denn 1922/24 wurden nochmals über 20 Stück Personenwagen der vierten Klasse („Arbeiterwagen“) für die beiden Strecken im Unterland (Bottwar- und Zabergäubahn) beschafft, der Löwenanteil vermutlich für die Beilsteiner Strecke. Bekannt ist, dass die Industrie in Heilbronn trotz der schwierigen wirtschaftlichen Epoche in dieser Zeit erheblich wuchs, der Bedarf für weitere Arbeitskräfte und Berufspendler war also da. Auch Gepäckwagen und gedeckte Schmalspurgüterwagen wurden für die Bottwarbahn bis 1930 nachbeschafft, die Schmalspur und ihre Beförderungsmöglichkeiten waren also auch in der Zeit des starken Aufkommens von Omnibus und Lkw stark gefragt. Die Bottwarbahn war – allenfalls mit der Zabergäubahn – die einzige Linie des württembergischen 75-cm-Netzes, die vom Verkehrszuwachs profitierte und noch immer neue Wagen erhielt. Das belegt erneut die Sonderrolle des „Netzes von Beilstein“.

Spätestens in den 1920er Jahren, teils noch zu Königs Zeiten, war die Abschreibungszeit der Hauptinvestitionen in das vormalige württembergische Lokalbahnnetz erreicht und vorüber. Die Schmalspur hätte somit im Wesentlichen ihre Aufgabe hervorragend erledigt gehabt, für eine für den Staat bezahlbare und rentable regionale Verkehrsgelegenheit zu schaffen und das Gewerbewachstum in Schwung zu bringen. Ohne sie wäre es nicht gegangen, ohne sie hätte es gar keine Lokalbahnen gegeben, vielmehr erst um einige Zeit später und wahrscheinlich weniger an der Zahl. Angesichts des phänomenalen Verkehrswachstums, das sich seit den 1890er Jahren entwickelt hatte, wäre es nun an der Zeit gewesen, grundsätzlich an die Umstellung der Schmalspurlinien auf Regelspur zu gehen. Dass dies nicht tendenziell schon zur Länderzeit um 1910 begonnen wurde, hatte seinen Grund nicht nur darin, dass der Bau des Lokalbahnnetzes noch nicht abgeschlossen war: noch harrten Orte wie Maulbronn oder Welzheim (die man wegen des geringen Verkehrs oder der ungünstigen Topografie besser, das heißt weitaus weniger aufwändig an Schmalspurstrecken angeschlossen hätte) ihres Bahnanschlusses. Vor allem aber standen den preisgünstigen Investitionen in lokale Verkehrsinfrastruktur längst ganz andere „Anlagezwecke“ gegenüber: die explodierenden Kosten für das Militär, sprich für die massive Aufrüstung, nicht nur in Württemberg.

Einige Privatbahnen, sprich privatwirtschaftlich-kommunale Betriebe anderswo in Deutschland, wie die Bleckeder Kreisbahn, die Hümmlinger Kreisbahn oder die Ruhr-Lippe-Eisenbahnen, machten das Thema Umspurung zwischen den 1920er und 1950er Jahren vor: Oft ohne großes Aufsehen, mitunter ohne jeden Beschluss eines Gremiums wurden die Bahnkörper verbreitert, längere Schwellen eingezogen und jeweils schrittweise die Gleise „umgenagelt“ – die Bahnmeistereien „machten“ einfach, was sinnvoll war, und verbuchten den Aufwand unter Unterhalt. Dies gelang sogar bei Strecken, die zuvor nie für Regelspurfahrzeuge vorgesehen waren, im Gegensatz zum württembergischen System, das mit seinem breiten Regellichtraumprofil von Anfang an beste Möglichkeiten dazu geboten hätte. Bei der Reichsbahn hätten solche Schritte aber bedeutsame Entscheidungen vieler Instanzen gefordert, bei denen stets vorrangige anderweitige Interessen mitgespielt hätten. Dazu kam die nächste schwere Belastung der Reichsbahn: Als einzige Einrichtung, der man offenbar zutraute, trotz der wirtschaftlichen Notlage gutes Geld zu verdienen, wurde sie in die formal privatwirtschaftliche Reichsbahn-Gesellschaft (DRG) umgewandelt – um die Schuldverpflichtungen aus dem Versailler Vertrag gegenüber den Siegerländern zu erfüllen. Der Straßenverkehr oder die Binnenschifffahrt – als Beispiel – mussten nichts bezahlen. Wo die Reichsbahn parallel dringend investieren musste, waren ihre Hauptstrecken und ihr dortiger Fahrzeugpark. Schon zum zweiten Mal blieb nun für die Belange der lokalen Strecken wenig bis nichts übrig, wieder rächte es sich, dass die Zuständigkeit dafür nicht (mehr) in der Hand von Kommunen, Region oder Land lag, sondern in Berlin.

Das sparsame Württemberg

Notgedrungen, weil 1923/24 schwerere Lokomotiven auch auf die Bottwarbahn kamen, wenigstens fünf fabrikneue (Typ württ. VI K), und auch die Güterwagen länger und schwerer wurden, kam es nach und nach zum Einbau stärkerer Gleise, und zwar – wie damals im Rahmen der „Oberbaustufenwirtschaft“ üblich – zur Verwendung gebrauchten Gleises aus den Hauptlinien („Oberbau“ ist der Fachausdruck für den Gleiskörper). Erstmals hielten dabei Stahlschwellen auf den Lokalstrecken Einzug statt solche aus Holz. Arbeitskraft war billig, Material teuer, so war es wirtschaftlich, das abgefahrene oder zu schwache Material der Hauptbahnen dort durch neues massiveres zu ersetzen und das Altmaterial für Nebengleise und für die Lokalbahnen aufzubrauchen. Man kann dies heute noch am Gleis der Öchsle-Museumsbahn betrachten: Das eingebaute Material – so weit es nicht nach und nach jetzt auch dort ersetzt wird – war und ist älter als die ganze Strecke. Auf den Schienen und Schwellen sind Herstellungsjahre von 1890 und älter eingewalzt. So war es auch auf der Bottwarbahn. Nun kommt der Clou: Selbstverständlich handelte es sich bei den gebraucht eingebauten Schwellen um solche der Regelspur. Anstatt nun diese auf voller Länge einzubauen, das Schotterbett zu verbreitern, die Bahngräben seitlich zu verschieben und die Böschungen etwas zu versteilen oder abzusichern – und letztlich: ein Drei-Schienen-Gleis einzuziehen, das früher oder später generell nur noch von der Regelspur befahren worden wäre -, wurden die Regelspurschwellen allen Ernstes abgesägt und gekürzt: damit sie für die Schmalspur passten. Einfacher hätte man die Umspurung nun nicht haben können. Auch diese Chance – eigentlich die erste wirkliche dazu - wurde versäumt.

Allerdings wäre die Sache nicht ganz so einfach gewesen: Zwischen Marbach, Beilstein und Ilsfeld hätte man das Planum problemlos an die Regelspur anpassen können. Zwischen Ilsfeld und Talheim wäre dies wegen der engen Radien aber nicht gegangen. Eine Begradigung hätte einen teuren teilweisen Neubau bedingt, dies hätte sich kaum gelohnt. Hier war die Schmalspur klar im Vorteil: Mit flotten modernen Personenzügen zwischen Beilstein, Ilsfeld (hier hätte man sich ein Drei-Schienen-Gleis zu denken gehabt) und Heilbronn hätte sie weiterhin bestens ihre Aufgabe erfüllen können. Den Weg dazu wies etwa die Reichsbahndirektion Dresden, die mit zahlreichen Schmalspurstrecken gesegnet war (ein Teil davon fährt heute noch, siehe www.loessnitzgrundbahn.de oder www.fichtelbergbahn.de). Für ihr Schmalspurnetz um Zittau (www.soeg-zittau.de) in der Lausitz, das mächtig vom Touristenverkehr profitierte, beschaffte sie 1938 vierachsige elegante Schmalspur-Dieseltriebwagen (www.zittauer-schmalspurtriebwagen.de), modernisierte Personenwagen dazu und baute einen Teil der dortigen Strecke zweigleisig aus. Die Müglitztalbahn bei Dresden wurde gar komplett umgespurt, was aber zu guten Teilen einem Neubau gleich kam und deshalb nicht gerade als leuchtendes Beispiel diente. Bezeichnend ist, das die Reichsbahndirektion Stuttgart das erhielt, was im Bezirk Dresden bei der Modernisierung der dortigen Strecken als gebraucht abfiel. Allerdings war die Bedeutung der auf Dresden zulaufenden Schmalspurlinien im Berufs- und Wintersportverkehr auch noch größer als im – traditionell sparsamen – Stuttgarter Großraum.

Schmalspur modern - eigentlich kein Problem

Auch in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg fehlte es nicht an modernen Möglichkeiten für die Schmalspur. Die Waggonfabriken Talbot in Aachen und Fuchs in Heidelberg bauten ab 1954 Diesel-Schlepptriebwagen für die Spuren 75 cm und Meterspur, die sowohl Güterzugloks ersetzen wie auch flotten Personennahverkehr versehen konnten. Die Österreichischen Bundesbahnen verdieselten ihr Schmalspurnetz (76-cm-Spur) ab 1960 mit einer kompakten robusten Dieselloktype (Reihe 2095), die kostensparend in die Heizhäuser der Schmalspurdampfloks passte und Tempo 60 fahren konnte, wovon bei Bedarf auch Gebrauch gemacht wurde. Die Bottwarbahn hätte auf weiten Abschnitten ihres Netzes auch Tempo 50 oder 60 ausfahren können, und dies wäre rechtlich für Nebenbahnen auch zulässig gewesen. Der beginnende maschinelle Gleisunterhalt lieferte die dafür nötige Substanz beim Oberbau. Mit solchen Tempi hätte die Bottwarbahn ihre Reisezeiten fast halbieren können und damit Reisezeiten erreicht, die mit dem Bus sehr gut konkurrenzfähig gewesen wären oder kürzer. Auch die Waldenburgerbahn bei Basel, 75-cm-Spur, stellte 1953 auf elektrischen Betrieb und flinke Triebwagenzüge um. „Stuttgarter Waldenburgerli“ nannten deshalb Besucher aus der Schweiz die Bottwarbahn. Die Waldenburgerbahn fährt heute längst Tempo 80, wie auch die modernen Schmalspurbahnen in Österreich, etwa die Mariazellerbahn (www.noevog.at -> Mariazellerbahn/Himmelstreppe). An technischen Chancen, die Bottwarbahn zu einem höchst zeitgemäßen Betrieb zu machen, bei dem die Spurweite keinerlei Rolle spielte, bestand also grundsätzlich nie ein Mangel. Dem Fahrgast wäre die Spurweite völlig gleichgültig, er würde sie nicht einmal bemerken – Hauptsache er steigt in ein zeitgemäßes Verkehrsmittel ein.


Die Dieselloktbaureihe 2095 aus Österreich, ab 1961/62 verfügbar, war robust, kräftig, für Güter- wie Personenzüge gut geeignet und konnte durch ihren tiefen Schwerpunkt auch Tempo 60 ausfahren, im Gegensatz zur Bottwartal-Diesellok der Bundesbahn. Mit 440 Kilowatt wäre sie sogar stärker gewesen als jene. Doch "Frankfurt" - die Hauptverwaltung der Bundesbahn - wäre weder auf die Idee gekommen, im Ausland eine Loktype zu beschaffen, noch hatte sie mit Erhalt oder gar Modernisierung der Schmalspurbahnen etwas im Sinn. Dabei hätte nicht die Spurweite der Bahnen eine maßgebliche Bedeutung gehabt, sondern ihr Verkehrsaufkommen, ihr Potenzial, ihre Wachstumschancen ...  |  Foto (2015 bei der Bregenzerwald-Museumsbahn): Dr. Markus Strässle 

Es war eine der größten Ungeschicklichkeiten der Kommunalpolitik, dass sie in der Schmalspur ein Problem sah und deshalb am liebsten die ganze Bahn weghaben wollte. Das Problem war nicht die Schmalspur, es war die nötige Modernisierung der Bahn – und die wäre auf Schmalspur wesentlich einfacher und bezahlbarer zu haben gewesen, letztendlich realistisch. Die Ansprüche der Fahrgäste an zeitgemäße Fahrzeuge hätten sich unabhängig von der Spurweite erfüllen lassen. Vor allem: Die Bundesbahn wollte eine umgespurte Bottwarbahn genau so wenig betreiben. Man sieht: ihr war die Spurweite so gesehen gleichgültig. Im übrigen lässt sich aus der Bestandszeit anderer lokaler Linien keine Abhängigkeit von der Spurweite feststellen: Die ersten Zweigstrecken etwa in Baden-Württemberg, die ganz abgebaut wurden, besaßen Regelspur. Von den regionalen Vorzeigelinien, die heute etwa in Österreich hoch im Kurs stehen und mit modernsten Zügen mit Tempo 80 betrieben werden, sind wenigstens drei schmalspurig auf der 76-cm-Spur (Pinzgaubahn, Murtalbahn, Mariazellerbahn). Diese Betriebe haben auch kein Problem damit, den traditionellen Begriff Lokalbahn als heute gefragtes Attribut für Authentizität und Bürgernähe zu verwenden.

Dass die Bundesbahn nicht in die Lokalbahnen und schon gar nicht in die Schmalspur investierte, hatte ganz andere Gründe:

- der ihr auferlegte Sanierungsbedarf für die Kriegsschäden (die anderen Verkehrsträger bekamen dies vom Staat ersetzt)
- der Nachholbedarf bei Umorientierung und Ausbau des Hauptstreckennetzes von einem auf Berlin orientierten Radialnetz zu einem Nord-Süd-Netz über schwierige Mittelgebirgsstrecken
- die ihr auferlegte Verpflichtung zur Übernahme aller Reichsbahner aus den Ostgebieten (auch wenn sie diese nicht brauchte), mitsamt den Pensionären und deren Rentenansprüchen (wie man aus der aktuellen Finanzlage weiß, bringt so etwas selbst florierende Firmen in problematische Lagen bei der finanziellen Solvenz)
- die ihr wegen der Heimatvertriebenen und Vermögenlosen auferlegten, bewusst niedrigen Sozialtarife im Personennahverkehr. Damit konnte die Bundesbahn oft nicht einmal mehr die Selbstkosten erwirtschaften. Da ihr im hochwertigen Verkehr (Geschäftsreisende) die Kunden auf den Pkw absprangen, fehlte ihr ab jetzt die rentable Mischkalkulation, um die vom Staat gewollten Mindereinnahmen auszugleichen
- die ihr von den Wirtschaftsverbänden über die Politik verordneten Ausnahmetarife für verschiedenste Güter, vor allem für die Landwirtschaft. Auch hier konnte die Bahn mit Mühe allenfalls ihre Kosten erwirtschaften, aber keinen Gewinn mehr machen
- die vom Staat kraftvoll betriebene Schiffbarmachung großer Flüsse (z.B. Mosel), die der Bahn wichtige Einnahmen entzog, während die Kosten für die Schifffahrtswege nicht die Binnenschifffahrt tragen musste
- der vom Staat zunehmend großzügig betriebene Ausbau der Fernstraßen
- die vom Staat nicht vorgenommene Erhebung von Nutzungsbeiträgen durch den gewerblichen Straßenverkehr (d.h. Subvention)
- der (bis zur Bahnreform 1994 bestehende) gesetzliche „Beförderungszwang“ der Eisenbahnen: Diese durfte Frachtaufträge nicht ablehnen, auch wenn sie nichts daran verdienen konnten (wie Leergut oder voluminöse, aber geringwertige Fracht – wie landwirtschaftliche Artikel -, welche die Lkw-Spediteure nicht befördern wollten)
- die massive Erhöhung aller Kosten (Material, Treibkraft, Personal) durch das Wirtschaftswunder, während der Staat seiner Bundesbahn nicht erlaubte, sich bei den Tarifen marktwirtschaftlich zu verhalten und die Einnahmen zu sichern, die sie hätte am Markt erzielen können.

Unter diesen Umständen – bei so viel Dirigismus der Politik - wäre ein gewerbliches Unternehmen zusammengebrochen. Als Folge begann das so genannte Defizit der Bundesbahn. De facto lagerte der Staat („Bonn“) soziale und verkehrliche Lasten in einen Schattenhaushalt namens Bundesbahn aus. Der Bundesfinanzminister wies deshalb 1954 die Bundesbahn definitiv an, habhafte Einsparungen nachzuweisen. Wo hätte nun die Bundesbahn anders einsparen sollen als beim lokalen Verkehr, wenn dies weder auf dem Hauptnetz umgehend ging noch beim Personalbestand? So begann die Bundesbahn dort wegzuschneiden, wo die politischen Proteste unter dem Strich am wenigsten ausrichten konnten: in den Regionen.


Das offizielle Jahrbuch 1955 der Deutschen Bundesbahn enthielt dieses Inserat. Es zeigte den eben, 1954, gebauten modernen Triebwagen der Kreisbahn Osterode/Harz, 75-cm-Spur. Die Kreis Altenaer Eisenbahn erhielt gleichartige Fahrzeuge. Bei der Hauptverwaltung der Bundesbahn wusste man also gut, dass es neue attraktive Fahrzeuge für die Schmalspur gab. Aber man hatte dort ganz andere Sorgen ...

Aushöhlung von innen

Es trifft nicht zu, dass es die allgemeine Abwanderung auf den Straßenverkehr gewesen wäre, welche die lokalen Bahnlinien besonders hart getroffen hätte, oder dass sie die großen Verlustbringer gewesen wären. 1953/54 untersuchte der Stuttgarter Verkehrswissenschaftler Carl Pirath das Problem der Zweigbahnen am Beispiel der privaten Härtsfeldbahn auf der Ostalb (www.hmb-ev.de). Er stellte fest, dass die ländlichen Räume für das Straßenverkehrsgewerbe uninteressant seien, weil der (damals) unzulängliche Zustand der Straßen zeitlich und vom Frachtvolumen her keine sinnvolle Rendite erwarten lasse. Im Gegenteil könnten die lokalen Bahnen durch ihre günstigen Tarife die meisten Frachtkunden nach wie vor an sich binden. Bei Auflassung der Bahnen drohten sprunghafte Erhöhungen der Frachtkosten, weil die Lkw-Speditionen dann die höheren Transportkosten auf der Straße auf die Kunden umlegten. Besonders bei geringwertigen Gütern hätte dies die Überlebensfähigkeit der ländlichen Gewerbe stark bedroht. Umgekehrt wies Pirath nach, dass die großen Unternehmen, begünstigt durch den begonnenen Autobahnbau und den Ausbau der Bundesstraßen, eigene Lkw-Werkverkehre aufbauten und damit der Bundesbahn im Knotenpunktverkehr das Wasser abgrüben. Was der Eisenbahn dort fehlte, musste sie notgedrungen hier – bei den Zweiglinien – einsparen, auch wenn das eine mit dem anderen nichts zu tun hatte und dies der falsche Weg war. Doch „Bonn“ nahm dies in Kauf. (Quelle: Pirath, Carl: Die Verkehrsteilung Schiene - Straße in landwirtschaftlichen Gebieten und ihre volkswirtschaftliche Bedeutung. Forschungsergebnisse des Verkehrswissenschaftlichen Instituts an der Technischen Hochschule Stuttgart, 1954).

Jedoch kam es parallel noch zu einer wesentlich größeren Verschlechterung der Lage – wiederum bedingt durch die Haltung der Bundespolitik. Weil auch Omnibusse zwar die Straßen so stark wie Lkw die Straßen belasteten und die Fahrbahnen zerstörten, aber nichts dafür bezahlen mussten, begann die Bundesbahn – wieder nolens volens -, selbst Busse einzusetzen, um sich wenigstens die Einnahmen aus ihrem Verkehrsgebiet weiterhin zu sichern. Sie musste dies deshalb tun, weil die Landratsämter freizügig Konzessionen für neue private Buslinien vergaben, auch wenn diese zum Teil parallel zu den Bahnlinien verliefen. Es war zwar also generell falsch, aber aus der Lage des Augenblicks heraus geschickt von der Bundesbahn, dass sie selbst ein Busnetz um ihre Bahnen aufbaute, damit sie den privaten Wettbewerbern zuvor kam. Und wieder beging die Bundespolitik einen gravierenden Fehler: Während sie der Bundesbahn für ihren Zugverkehr verordnet hatte, Sozialtarife anzuwenden, ließ sie der Bundesbahn bei deren Omnibusverkehr nun tariflich freie Hand. Somit verdiente die Bahn – politisch gewollt – am Eisenbahnverkehr im Lokalbereich nichts mehr oder zahlte sogar darauf, obwohl man dort unternehmerisch hätte Geld verdienen können, schließlich begann die Wirtschaft auch auf dem „flachen“ Land zu florieren, begannen sich für Pendler längere Berufwege zu lohnen, wurden Mittelpunktschulen gebaut,  die das Verkehrsaufkommen und den Bedarf am leistungsfähigen Verkehrsmittel Bahn erhöhten. Mit dem Busverkehr jedoch, mit dem sie ja wenig Kosten hatte und für den sie keine Infrastruktur vorhalten musste, verdiente die Bundesbahn gutes Geld. Die Sozialtarife für die Busse wurden von der Politik vergeblich gefordert – weil den Staat dann den Vorwurf getroffen hätte, mit seinen Bundesbahn-Bussen die Tarife der privaten Wettbewerber auszuhöhlen. „Gut gemeint“ – wenn es denn so war – bedeutet auch hier eine katastrophal falsche Haltung: Es war logisch, dass die Bundesbahn nun bestrebt sein musste, ihre lokalen Strecken loszuwerden und nur noch ihre Busse zu behalten. Die Fahrgäste hatten nun die Wahl zwischen veralteten Bahnlinien, in die zu investieren für die Bundesbahn fast sinnlos war, und modernen Bussen. Wie diese „Wahl“ ausfiel, liegt auf der Hand.

Allerdings hieß dies noch lange nicht, dass die lokalen Bahnstrecken chancenlos gewesen wären. Noch 1962 stellte der Vizepräsident der Bundesbahn, Geitmann, folgende Untersuchung vor: Der Anteil der Zweigstrecken betrug 1960 etwa 40 Prozent des Gesamtnetzes der Bundesbahn. Die Ausgaben für das Zweignetz betrugen nur neun Prozent des Gesamtnetzes, die erzielten Einnahmen kamen jedoch auf 22 Prozent. 16 Prozent der Güter auf dem Hauptnetz besaßen ihren Ziel- oder Ausgangspunkt auf einer lokalen Strecke. Weil sie den Großteil ihrer Reise auf dem Hauptnetz unternahmen, fielen 73 Prozent jener Einnahmen dem Hauptnetz zu (Eisenbahntechnische Rundschau 12/1962). Beim Übergang der Reisenden zwischen Zweig- und Hauptbahn sah es ähnlich aus. Mit anderen Worten: Totalreduzierungen auf den Zweigbahnen führten zu wenig Einsparungen, aber zu erheblichen Mindereinnahmen auf dem Hauptnetz, weil die Wahrscheinlichkeit groß war, dass Reisende oder Verfrachter dann gleich die Straße wählten.

Verkehrswirtschaftlich muss man sich auch fragen, woher die großen Ausgaben auf den Zweigbahnen hätten kommen sollen? Wirklich teuer war (damals) der Betrieb der Hauptbahnen mit Mehrfachbespannungen vor schweren Zügen, der aufwändige Unterhalt der großen Dampfloks, die zahllosen handbedienten Bahnübergänge, Stellwerke und Bahnwärterposten, der eine Unzahl von Mitarbeitern erfordernde manuelle Gleisunterhalt. Durch Modernisierung und Elektrifizierung machte das Hauptnetz schrittweise Fortschritte bei der Kostensenkung. Doch der Preis dafür war der Verzicht auf diese Schritte bei den Zweigbahnen. Hätte der Staat die Anlagen selbst unterhalten und der Bahn zur Verfügung gestellt, wie er es bei Straßen und Kanälen machte, wäre das Problem der Zweigbahnen in dieser Form nicht entstanden. Bei den Zweigbahnen gab es die meisten dieser Aufwände nicht oder nur in geringster Form. Das galt vollends, wenn man auf Diesel umstellte oder den Personenverkehr aufließ und sich auf den lokalen Güterverkehr beschränkte. Geitmann hatte für 1960 festgestellt, dass gerade einmal sechs Prozent der Lohnkosten der Bundesbahn auf die Mitarbeiter der Zweigstrecken entfalle, was logisch war, wenn man sich die einfachen Betriebsverhältnisse ansah. Kostengünstiger, als es auf der Bottwarbahn in den letzten zwei Betriebsjahren vor sich ging, nämlich ein bis zwei Güterzugpaare am Tag bei geringem Tempo – das für die Kunden keine Rolle spielte – und geringstem Invest in die Infrastruktur, de facto gar keiner, konnte man keine Bahn betreiben. Kein Wunder, dass die landeseigene Südwestdeutsche Eisenbahngesellschaft SWEG, als sie 1967 für das Innenministerium eine fiktive Kostenrechnung für die Bottwarbahn aufstellen sollte, einen Jahreszuschuss von marginalen 30 000 Mark errechnete, also gerade einmal eine rote Null. Die Bundesbahn hatte denn auch Probleme, dann zu erklären, wieso ihr der Betrieb der Bottwarbahn angeblich mindestens die fünffache Summe davon verursache. Dabei operierte die Bundesbahn aber gerne auch mit Teilbeträgen für nötige Investitionen, die sie in Wirklichkeit nicht ausgab. Das machte die Sache nicht besser, verunsicherte aber die an der Bahn interessierten Anlieger.

"Stilllegung" der Straßen?

Waren die Zweigbahnen nun wirtschaftlich oder nicht? Zu Königs Zeiten erwirtschafteten sie Renditen zwischen 0,5 und gegen vier Prozent. Das waren immerhin Erträge, um die wir heute auf dem Sparbuch froh wären. Die Spurweite spielte dabei keine Rolle – warum auch? Warum sollte ein kleines Bauwerk unwirtschaftlicher sein als ein größeres, oder warum sollte der Betrieb eines großen Fahrzeugs automatisch Gewinn bringen, der eines kleinen aber Verlust? Generell war das Zweignetz immer als Ergänzung und Ableger zum Hauptnetz zu sehen, wie die feinen Äste eines Baumes – der verdorren würde, beschnitte ihn man darum. Im Übrigen waren Nebenlinien so rentabel wie Rathaus, Kindergarten, Feuerwehr, Bücherei, Museum, Theater, Straßen, Kanäle oder private Pkw – also wenig bis gar nicht. So waren sie stets gedacht: als Beitrag zur öffentlichen Dienstleistung. Konsequenterweise hätte man mit den „unrentablen“ Bahnen auch parallel die anderen genannten Einrichtungen „stilllegen“ müssen. Warum tat man es nicht?

Tatsächlich erzielten aber selbst gering geschätzte Zweigbahnstrecken zur aufkommenden Hoch-Zeit des Straßenverkehrs – 1959/60 – in der Summe noch durchaus handfeste Gewinne, nur logischerweise nicht rein nur auf der Zweiglinie.  Für die Schmalspurstrecken Lauffen – Leonbronn (Zabergäubahn), Schussenried – Buchau – Riedlingen und Mosbach – Mudau ist aus jener Zeit bekannt, dass das von ihnen auf das Hauptnetz übergehenden Potenzial unter dem Strich für die Bundesbahn noch immer reale Erträge zwischen etwa 120 000 und 200 000 Mark abwerfe (Quelle: Hauptstaatsarchiv Stuttgart, Bestand u.a. EA 2/904 Büschel 183, www.landesarchiv-bw.de). Das war damals viel Geld: Für zwei Jahreserträge von je 200 000 Mark hätte die Bundesbahn seinerzeit schon fast eine starke Diesellok für eine dieser Strecken kaufen können. Für die Bottwarbahn liegen diese Zahlen nicht vor. Es ist aber anzunehmen, dass sie aufgrund ihrer verkehrlichen Struktur, die günstiger war als bei den genannten Strecken, eher noch mehr zum finanziellen Wohl der Bundesbahn beitrug. So versandte die Firma Zinsser in Murr ihre Produkte quer durch Deutschland weit bis hinter Bremen. Aber: Solche Zahlenwerte – die das Innenministerium zu Stuttgart intern erbeten hatte – hielt die Bundesbahn nach außen geheim. Sie operierte in der Öffentlichkeit nur mit den reinen Zuschussbeträgen der einzelnen Strecken, ohne den Gesamtgewinn. So konnte sie den „gewünschten“ Eindruck erzeugen, dass die Zweigbahnen der Sündenbock der Bundesbahn seien und deshalb verschwinden müssten. Auf ihre wirklichen Probleme – die ihr von Bonn „aufs Auge gedrückt“ worden waren – durfte die Bundesbahn zunehmend nicht mehr verweisen. 1959 erschien letztmals von der Bundesbahn eine aufklärende Schrift „DB auf eigenen Rädern“, welche Ross und Reiter beim Namen nannte. Dafür erhielt das Staatsunternehmen offenbar einen „Maulkorb“, denn ab dann hörte man in dieser Richtung nach außen nichts mehr von der tatsächlichen Lage.

Obwohl es etwa seit 1956 offensichtlich war, dass die Bundesbahn sich auch vom Betrieb der Bottwarbahn zurückziehen wollte, nahm der Güterverkehr noch zu, so von 1955 bis 1963 im Wagenladungsverkehr von 21 000 auf rund 25 000 Tonnen im Versand; im Empfang kamen nochmals rund 16 000 Tonnen dazu. Ebenso stieg im Eil- und Stückgutverkehr das Aufkommen in dieser Zeit von 1300 auf fast 1900 Tonnen (Quelle: Denkschrift Bottwartalbahn, Ludwigsburg 1965, Anlage 7). Das war bei den diskutierten 27 Kilometern von Marbach bis Talheim nicht umwerfend viel, aber angesichts der ständigen Auflassungsdiskussion der Bundesbahn auch nicht wenig. Diese Zahlen betreffen offensichtlich den „Binnenverkehr“ ohne den regelspurigen Abschnitt Talheim – Heilbronn. Auch der Zuckerrübenverkehr Richtung Heilbronn kann darin nicht enthalten sein, denn alleine er betrug zwischen 15 und 20 000 Jahrestonnen. Auch von 1964 bis 1966 stieg das Güteraufkommen nochmals. Industrieunternehmen machten damals eine Ansiedlung grundsätzlich vom Bahnanschluss abhängig, nicht zuletzt unter Hinweis darauf, dass sie dann nicht vom Mineralöl (Diesel) abhängig seien und weil dies die Straßen entlaste. Gleichzeitig verwiesen die Kommunen auf über 11 000 Pendler entlang der Bottwarbahn zwischen Marbach und Talheim (Stand 1965), deren Zahl ständig noch zunehme. An einer Bahnstrecke, die niemand mehr gebraucht hätte, hätte es anders ausgesehen. Die Bundesbahn „löste“ den Umstand, indem sie den Firmen, die Privatanschlussgleise besaßen – also vor allem den Lagerhäusern – ihre Frachtverträge kurzfristig und – wie sie es nannte – im Spätherbst 1966 „vorsorglich“ auf den 31. März 1967 kündigte. Dies verstieß nicht nur gegen die vorliegenden Verträge, sondern auch gegen die kaufmännischen Sitten, zumal die Bundesbahn andeutete, den Verkehr unter Umständen schon zuvor einstellen zu wollen (was ebenfalls gesetzwidrig gewesen wäre, weil sie noch lange nicht Zustimmung aus Bonn dafür besaß). Die Landwirtschaftliche Bezugs- und Absatzgenossenschaft (Labag) Marbach, die auch das Lagerhaus in Großbottwar betrieb, beurteilte „die Rechtsauffassung der Bahn als ziemlich einseitig (...), ja rücksichtslos.“ (Hauptstaatsarchiv Stuttgart, Bestand EA 2/904 Büschel 181/1).


Sieht so eine Bahn aus, die niemand mehr braucht? Sechzehn Wagen zählt dieser Güterzug, den die Diesellok im Juni 1967 über die Murrbrücke gen Marbach zieht. | Foto: Prof. Wolfgang Frank

Doch wohlgemerkt: Die Bundesbahn betrieb lediglich die Politik, die ihr von Bonn – genauer gesagt vom Bundesfinanzminister und von Bundesverkehrsminister Seebohm – vorgegeben worden war, und welche die Wähler – der „Souverän“ offenbar für gut hielten. Seebohm saß im Aufsichtsrat der Volkswagen AG, eine sozusagen „ideale“ Verknüpfung gegensätzlicher Interessen. Dazu kam das so genannte „Leber-Programm“, benannt nach Bundesverkehrsminister Georg Leber, der von der Bundesbahn erwartete, dass sie 6500 Eisenbahnkilometer stilllege. Wo sie dies tat, war ihr überlassen. So wurde Verkehrspolitik auf den Kopf gestellt: Nicht das hervorragende Potenzial einer Bahnstrecke in einer von Besiedlung und Wirtschaft her ständig wachsenden Region zwischen zwei Ballungsräumen – wie bei der Bottwarbahn - wurde betrachtet, sondern ausschließlich die Frage, wie man die von Bonn gewünschte Streichung irgendwo so vornehme, dass sie auf möglichst wenig Widerstand träfe. In einer Besprechung im Frühjahr 1967 im Innenministerium stellte ein Regierungsrat fest, die Bundesbahn habe den Rückgang ihres Verkehrsaufkommens „selbst verschuldet.“ Schon seit Jahren spreche sie von der Stilllegung dieser Strecke. Der Regierungsrat: „Wer deshalb einigermaßen betriebswirtschaftlich zu denken vermöge, habe sich nicht mehr auf die Bundesbahn verlassen können und sich nach anderen Beförderungsmöglichkeiten umgesehen.“ Steinheims Bürgermeister Ulrich ergänzte, 1964 habe sich in Steinheim ein Industriebetrieb ansiedeln wollen, der ein Frachtaufkommen von 160 000 bis 260 000 Tonnen garantiert hätte. Wegen der unklaren Haltung der Bundesbahn zum Weiterbetrieb der Bahn habe diese Firma sich von ihrem Plan wieder zurückgezogen. – Hinweis: Mit einem solchen Verkehrsaufkommen hätte die Bundesbahn so gute Frachteinnahmen gehabt, dass man damit die Bottwarbahn bis Beilstein oder Ilsfeld hätte retten können. Offensichtlich war ihr jedoch – gemäß dem Programm aus Bonn – an einer „Verkehrswüste“ gelegen (was den Schienenverkehr angeht).

Einige wichtige Stichworte dazu liefert der Fernsehbeitrag "Die Bahn im Jahre 1958: In großen Zügen - Eine Studie über die arme, reiche Bundesbahn" (Youtube-Dokument, Stand 6/2017) 

Auch die erwähnte Labag Marbach/Großbottwar fragte sich, wie die Bundesbahn auf die angeblich so hohen Kosten für die Abwicklung des Güterzugbetriebs komme: „Wir können kaum glauben, dass bei einem besser durchrationierten Güterverkehr auf dieser Strecke Verlustzahlen auftreten werden. Nach Schließung der Streckenbahnhöfe könnte der Güterverkehr zweifelsohne rentabel als eine Art Anschlussgleis von der Güterstelle Marbach aus betreut werden.“ Schließlich vertrat die Labag eine Auffassung, die auch sehr gut in unsere aktuelle Welt passen würde. Sie schrieb dem Innenministerium: „Sollte jedoch – wir können es kaum glauben – dennoch ein kleines Defizit entstehen, so müssten die Zahlungen des Staates an die Bundesbahn eben auch als ein gewisser Ausgleich dafür angesehen werden, dass dem Staat dadurch Straßenbaukosten erspart werden. Bei der heutigen Verkehrslage“ [hohe Aufwendungen für den Straßenbau, Belastung der Bevölkerung durch den Straßenverkehr] sei weiterer Straßenbau „in unserem dichtbesiedelten Gebiet“ kaum zumutbar und nicht wirtschaftlich. Deshalb dürfe „eine Stilllegung des Güterverkehrs [der Bottwarbahn] in der heutigen Zeit schon aus verkehrspolitischen Gründen nicht erfolgen.“ Das Innenministerium hatte schon 1964 im Hinblick auf die Diskussion in Sachen möglicher Umspurung auf Regelspur durchaus zutreffend festgestellt, dass „der Güterverkehr auf der Bottwartalbahn auch auf der Schmalspurstrecke in vollem Umfange befriedigt werden kann.“ (HStAS EA 2/904 Bü 181/1).

Spannend ist heute der Blick auf eines der erfolgreichsten Modelle zur Aufwertung einer regionalen (Schmalspur-) Bahn, nämlich der Pinzgaubahn im Salzburger Land:
http://www.pinzgauer-lokalbahn.info

Hintergrundinformation | Vor 50 Jahren - 1965/66
Sie meinten es nur gut
Nicht zielführende Diskussion um die Spurweite der Bottwartalbahn

Der heutige Erfolg der Pinzgauer Lokalbahn ist von einer gewissen Ironie - für das Bottwartal -, denn die Pinzgaubahn fährt de facto auf der gleichen Spurweite wie die frühere Schmalspurbahn im Bottwartal. Seit Jahrzehnten ist man auf dieser Spurweite mit Tempo 80 unterwegs, schon seit 1955 mit Tempo 50, seit 1960 mit Tempo 60. Die neuesten Züge sind für Tempo 90 zugelassen (http://www.noevog.at/de/projekte/himmelstreppe). Es gab im Bottwartal nie ein technisches Hindernis, die alte Bahn entsprechend zu modernisieren. Geschwindigkeit, Leistungsfähigkeit, Komfort und Attraktivität hängen im Nahverkehr nicht von der Spurweite ab. Dies war den Kommunen im Bottwartal vor 50 Jahren nicht klar. Deshalb bestanden sie auf einer Umstellung der Bottwarbahn auf die Regelspur. Dies war die teuerste Lösung (wenn man es, wie damals, "auf einen Schlag" vornehmen wollte). Somit brachte dieses schöne, aber von Kosten und Wirtschaftlichkeit her zunächst wenig realistische Ziel die Bahn um, anstatt sie zu erhalten. Neue Fahrzeuge - für die Schmalspur - und eine Durcharbeitung des Gleises wären wesentlich kostengünstiger gekommen und hätten eine Atempause verschafft, um die Bahnstrecke anschließend langfristig schrittweise, überschaubar und bezahlbar umzuspuren - mit Einbau von Drei-Schienen-Gleis, genau wie es aus gleichem Anlasse etwa die Jugoslawische Staatsbahn zuvor in Bosnien vorexerziert hatte, ironischerweise mit Hilfe aus Deutschland. Während des Abschreibungszeitraums der neuen Züge hätte man dafür in Ruhe Zeit gehabt, auch um kleine Korrekturen an der Trasse vorzunehmen, etwa um Bogenradien aufzuweiten. Innerhalb von etwa drei Jahren wäre ein solches realistisches Ziel zu verwirklichen gewesen. Die alten Fahrzeuge der Schmalspurbahn hätten so lange gut durchgehalten, denn vergleichbar betagte Wagen fuhren auf der Stuttgarter Zahnradbahn noch bis in die Achzigerjahre. Das Wichtigste an einer solchen Lösung wäre die klare Botschaft gewesen: Die Bottwarbahn hat eine Zukunft. Um ein solches Signal wäre es gegangen - die Spurweite der Bahn war demgegenüber von untergeordneter Bedeutung, auch für die Frachtkunden.

Als keine zehn Jahre später, 1978, die Stuttgarter S-Bahn erstmals Marbach erreichte, hätten die Bottwartäler - wenn sie eine Modernisierung der Schmalspurbahn betrieben hätten - längst selbst einen zeitgemäßen und raschen Bahnanschluss gehabt. Die Spurweite wäre allen Beteiligten dann herzlich gleichgültig gewesen. Es ist gut denkbar, dass die Schmalspurbahn in der Kombination von modernem SPNV und historischem Dampfzug am Sonntagen zu einem ausgesprochenen Publikumsliebling geworden wäre. Für die Vision vom Anschluss des Bottwartals an die S-Bahn, wie sie um 1968 von den Abgeordneten verfolgt wurde, opferte die Regionalpolitik als vermeintlichen ersten Schritt die Schmalspurbahn mitsamt Betriebsrecht. Mit dem Datum der Auflassung gab es somit (nach damaliger Rechtslage) auch kein Recht mehr, eine S-Bahn zu bauen. Jeder Hobbyjurist hätte dies im Voraus erkennen können. Das zentrale Problem im damaligen Fall war, dass die kommunale Seite keinen neutralen Berater in Bahnsachen besaß. Die Bundesbahn war dafür nicht geeignet - sie wollte die Strecke ganz loswerden, und zwar unabhängig von der Spurweite. Deshalb gab sie nur solchen "Rat", der alle Lasten auf die Kommunen abwälzte und immer angebliche neue technische und wirtschaftliche Probleme aus dem Hut zauberte, zu deren Beurteilung den Kommunen naturgemäß die Sachkenntnis fehlte. Die tatsächlich vorhandenen Perspektiven und Potenziale verschwieg die Bundesbahn. Sie hatte dafür übergeordnete Gründe - das Diktat, unter dem sie seitens des Bundes stand. Für lokale Bahnen fielen keine hohe Kosten an im Vergleich zum Hauptstreckennetz - aber die Auflassung der Lokallinien stieß in der Bundespolitik auf den geringsten Widerstand, mochten die Politiker vor Ort noch so hüpfen. 

Hinter dem Vorgehen der Bundesbahn stand kühle übergeordnete Berechnung. Bedeutung oder Wirtschaftlichkeit des tatsächlichen Falles - hier der Bottwarbahn - spielten keine Rolle, auch nicht die Ausführung als Schmalspurstrecke. Immerhin betrieb die Bundesbahn bis 1983 die oberschwäbische  Entsprechung der Bottwarbahn, die so genannte Öchsle-Bahn Warthausen - Ochsenhausen, problemlos weiter, mit exakt dem selben Material an Fahrzeugen und alten Gleisen wie im Bottwartal, und nach einer Planung von 1981 hätte dies noch auf unbestimmte Zeit weitergehen sollen. Insoweit sahen manche Beteiligte im Bottwartal fast schon Gespenster. Offensichtlich verhinderte der Tatbestand Schmalspurbahn ein sachliches Herangehen an die Diskussion. Wesentliche Probleme gab es demzufolge eher in virtueller Form den Köpfen, nicht in praxi auf der Schiene. Schon 1966 stellte der Bahndezernent im Innenministerium Stuttgart, Regierungsbaudirektor Stirzel, fest, "für den Güterverkehr würde die Schmalspurbahn völlig ausreichen, auch bei einer wesentlichen Steigerung des Verkehrsaufkommens." Das traf durchaus zu, denn etwa in der Nachkriegszeit hatte die Bottwarbahn täglich ein größeres Frachtvolumen mit Ganzzügen bewältigt als 1966. Wegen des steigenden Lohnkostenanteils für die Behandlung der auf die Schmalspur aufgeschemelten Güterwagen wäre selbstverständlich langfristig eine Umspurung sinnvoll gewesen, aber eben nicht drängend.

Die wirtschaftlichen Kennziffern der Bottwarbahn wurden von der Bundesbahn nach Bedarf "angepasst" bzw. grundsätzlich nur jeweils die Werte in die Diskussion eingebracht, die der Bahnstrecke schadeten (siehe die Akten im Hauptstaatsarchiv Stuttgart, Bestände EA 2/904 Büschel 181 ff, http://www.landesarchiv-bw.de/web/). Auch das seit 1960 steigende Frachtaufkommen der Bottwarbahn spielte keine Rolle, schließlich war es die Bundesbahn selbst gewesen, die 1966 den Frachtkunden die Verträge kündigte, zu deren schärfstem Protest.. Kam ein Gutachten - wie etwa der Südwestdeutschen Eisenbahn-Gesellschaft SWEG von 1967 - zu einen "unerwartet" günstigen Ergebnis (kein Wunder, dabei waren Praxis-Profis am Werk, die vergleichbare regionale Bahnen mit Erfolg sehr kostengünstig betrieben und sich zudem rege um neue Kunden bemühten), so wurde es nicht veröffentlicht. Denn der Bundesbahn war nicht daran gelegen, von einem privaten Bahnunternehmen vorgerechnet zu bekommen, wie man eine lokale Eisenbahn zu einem Bruchteil der Kosten betreibt wie die Bundesbahn. Vielmehr wurde der verfassenden Stelle auferlegt, die Studie zu überarbeiten - unter Einarbeitung neuer "Erkenntnisse" der Bundesbahn, die wiederum nur theoretische Nachteile ins Spiel brachte. Allerdings muss man auch sehen, dass die Privatbahn geringere Löhne zahlte, keine Beamten beschäftigte und keine Betriebsrenten finanzieren musste. Und weniger Mitarbeiter mussten mehr tun und flexibler tätig sein. Nicht zu vergessen ist die Gewerkschaft der Bundesbahner, die solchen Übernahmen aus den genannten Gründen sehr kritisch gegenüberstand und letztlich eine flexiblere Personalplanung der Bundesbahn verhinderte - um Verschlechterungen für die Bundesbahner auch an den "großen" Strecken zu vermeiden. Auch hier gilt: Was von allen Beteiligten gut gemeint war, brachte die lokalen Bahnen um.

Letztendlich lag das Generalproblem ganz woanders: in der Fehlentscheidung der Reichspolitik von 1920, sämtliche staatlichen Eisenbahnen in Gestalt einer Reichsbahn zusammenzufassen (wohinter nicht zuletzt das Militär stand und was schon Bismarck - vergeblich - versucht hatte). Lokale Bahnen aber dürfen nicht in Berlin oder Stuttgart verwaltet werden - ihr Geschick muss von den Kommunen gestaltet werden. Selbstverständlich braucht es dazu Betreiber, die wissen, was eine Eisenbahn kann und wie man sie erfolgreich managt. Mit Führungskräften, die nur von der Luftfahrt, der Autoindustrie, der Logistik, der Druckmaschinenbranche oder dem Finanzwesen kommen (oder nur aus Politik oder Verwaltung), wird es schwierig. Synergien und Einblicke aus anderen Branchen sind wertvoll - aber sie müssen auf einer Grundlage aufbauen, die vor allem auf handfeste Kenntnis und Erfahrung aus dem Schienenverkehr und ergänzend dem Landverkehrsgewerbe setzt.

 
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